Süddeutsche Zeitung, 18.08.2010:

Goldene Würste

Seit 29 Jahren wird die Metzgerei Obermaier mit dem Bundesehrenpreis ausgezeichnet - nun ist der Chef in Parma zum Gedankenaustausch eingeladen

Von Alexandra Leuthner
Pliening - Wurst-Experte müsste man sein. Man stelle sich das einmal vor: Auf dem Tisch liegen sechs- oder siebenhundert Wiener Würstchen, eines vielleicht ein bisschen dicker, ein anderes ein wenig kleiner. Jedes einzelne darf man probieren, um herausfinden, welche Wiener das beste Würstchen ist. Einmal im Jahr trifft sich eine vom Bundeslandwirtschaftsministerium ausgewählte Jury, um den Bundesehrenpreis für die besten deutschen Metzgereien zu vergeben. Und es ist kaum zu glauben: Es sind immer wieder die gleichen Würste, die den Jurymitgliedern mit am besten schmecken, immer wieder Würste aus Pliening im Landkreis Ebersberg. Und das seit 29 Jahren.

Handwerksbetrieb mit Hygieneschleuse und eigener Schlachterei

Manfred Obermaier sitzt in seiner großen
Wohnküche. Vorne geht es in die Metzgerei, die jetzt im August für drei Wochen geschlossen hat. Hinten wohnt der junge Metzger mit seiner Frau und den drei Buben. Er hat die Hände auf den langen, massiven Bauerntisch gelegt, für einen Augenblick zumindest, und erzählt. Man muss sich Mühe geben, ihm zu folgen - nicht nur, weil es ein ordentlich bayerischer Dialekt ist, den er spricht,sondern weil er das in einer ungeheuren Schnelligkeit tut. So als befürchte er, nicht fertig zu werden, mit dem was er sagen will, weil er gleich wieder aufspringen, etwas erledigen, den nächsten Gedanken formulieren muss. Immer .auf dem Sprung. Immer im Dienst. Sogar im Urlaub hat der Metzger sein Laptop mit dabei, um die Kühltemperaturen in seinem ausgedehnten Keller überprüfen zu können, dort, wo Hunderte von Salamis hängen und feine Schinken trocknen. Mehr als drei Wochen Urlaub gönnt sich der Handwerksmeister ohnehin nicht, und die sind def initiv zu kurz, um alles aufzuholen, was das ganze Jahr über hinten herunterfällt, mangels Zeit.

Jeden Morgen um drei Uhr klingelt der Wecker für den Chef über neun angestellte Metzger, er ist der Erste, der in der Früh seinem Keller betritt, wo die Kühlräume, die Schlachterei, die Lager- und Trockenräume sind, "und ich bin der Letzte, der um acht Uhr abends zusperrt".
Keine Tüte mit Wacholder-Essenz aus der großen Würzkammer wird geöffnet, von der der junge Chef nichts weiß, kein Würstchen geht über den Ladentisch, dessen Würze er nicht selbst überprüft hat. "Entweder du machst etwas zu 100 Prozent, oder du machst es gar nicht", sagt er. Schließlich hat er einen Ruf zu verlieren. D n, einer der besten Metzger in Deutschland zu sein.
Der Weg zum Metzgermeister war vorgezeichnet für den heute 37.,Jährigen, er hätte schon dumm sein müssen, den Vorzeigebetrieb des Vaters nicht zu übernehmen.
Die Erfolgsgeschichte aber lückenlos fortzusetzen - seit 1982 wird der Plieninger Betrieb in jedem Jahr von neuem mit Goldmedaillen für seine Salamis, seine Gelbwurst oder seine Weißwürste überhäuft - das war denn doch eine Herausforderung. "Da harn die Leit scho g'schaut, damals, schafft er's oder schafft er's net."

Damals, das war 2003, als der Senior nach langer Krankheit starb. Aber der Vater habe ihm mindestens zwei Dinge mit auf den weiteren Weg gegeben, erzählt Obermaier. Zumeinen "den letzten Feinschliff - immerhin war der Sohn schon  in den drei Jahren vor dem Tod des Vaters in die Leitung des Betriebs hineingewachsen.
Das zweite war ein einziger Satz: "Wenn du es nicht schaffst, dann schafft's keiner." Für einen Moment wird es sehr ruhig in der Küche in Pliening.
Dann setzt der junge Vater mit den zwei Ohrringen im linken Ohr hinzu: "Mein Vater hat nie viel gelobt." Was offensichtlich auch nicht nötig war, um den Junior anzuspornen. War schon der Vater bereit, ungewöhnliche Wege zu gehen für den Erfolg, so setzt der Sohn die Tradition mit Verve fort.
Heute kann er sich rühmen, den ersten Handwerksbetrieb mit EU-Zulassung zu führen, mit Hygieneschleuse und eigener Schlachterei - was heute die große Ausnahme bei den deutschen Kleinbetrieben sei, wie Obermaier erklärt. "Das ist ja ein' riesiger Kostenfaktor." Dafür garantie rt ihm die Schlachtung im eigenen Haus, dass die Schweine, bevor sie zerlegt in groß Bottiche und dann in die Wurst wandern, keinen Stress in ihren letzten Minuten erleben - Voraussetzung für eine hohe Fleischqualität und damit Grundlage für den dauerhaften Erfolg der Plieninger Würste im deutschlandweiten Vergleich.

Was die ungewöhnlichen Wege des Manfred Obermaier angeht, so führt ihn einer davon in diesen Tagen nach Italien, nach Parma genauer gesagt. Seitdem er für die Fernsehsendung Galileo seinen ers ten Isentaler Schinken zur Reifung gebracht hat, verfolgt ihn die Idee, den wahren und einzigen luftgetrockneten Schinken italienischer Art in Bayern zu erschaffen.

Parma hin oder her - der Schinken wird immer ein Isentaler bleiben.

In Parma will er versuchen, eine Maschine zu bekommen, mit deren Hilfe man den Knochen nach eine eineinhalbjähriger Trocknung gefahrenlos für Leib und Schinken ablösen kann - bislang anscheinend außerhalb von Italien ein Ding der Unmöglichkeit. "Die Maschinen werden nur in Italien produziert, und alle gehen an das Konsortium." Nur das "Consorzio del Prosciutto di Parma" darf seine Schinken mit dem Etikett Parmaschinken belegen, weswegen der Schinken von Manfred Obermaier trotz feinster Machart immer ein Isentaler bleiben muss.
Aber immerhin haben sie den Plieninger Metzgermeister nun eingeladen, die Fachleute aus rtanen. So weit hat es sich schon herumgesprochen, dass in Pliening einer sitzt, der weiß, wie man die besten Würste macht.

 

SZ

 

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